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Unwiderstehlich guter Sex
Ich versuche, mir nicht allzu viele Hoffnungen zu machen, dass Teddy Sonntag wirklich kommt, aber ach, wie gern würde ich das Klimpern der Schlüssel auf der anderen Seite der Tür hören und dann sein wunderbares Gesicht im Türrahmen sehen. Diese glatte, braune Haut. Die breiten Schultern. Das dicke braune Haar, das mehr von einem Fell als von einer Frisur hat. Teddy, wie der Bär. Mein Teddybär, mein abspenstiger Mann, komm heim zu Mama!
Ich versuche, den Gedanken abzuschütteln, Vernunft anzunehmen. Teddy hat jetzt ein anderes Zuhause, mit Inga zusammen. Marcie zufolge ist es nicht mehr vernünftig, ihn weiter zu lieben, nicht realistisch, zu glauben, er käme zurück, und schon gar nicht erlaubt, das alles nicht wahrhaben zu wollen. Und doch sitzt ein Teil meines Herzens an der Tür wie das Haustier der Familie und wartet darauf, dass Teddy hereinkommt. Seine letzte Chance. Die gebe ich ihm. Die und womöglich den Fernseher.
Es ist sieben Uhr abends, und nichts ist geschehen. Ich nehme mir eine Cosmopolitan mit ins Bett. Ich habe keine Ahnung, warum ich einen ganzen Stapel davon habe. Eigentlich finde ich sie blöd, aber trotzdem verpasse ich fast nie eine Ausgabe, ich zahle sogar jeden Monat den Einzelhandelspreis – ich schnappe mir das neueste, halb nackte Titelmädchen aus dem Zeitschriftenständer bei SaveWay, als hätten meine Finger ein Eigenleben. Ich vermeide es, beim Kauf von Milton oder Ham gesehen zu werden.
In dieser Ausgabe dreht sich alles um die Liebe. Na ja, eigentlich um Sex, aber wenn man der Cosmo glauben darf, dann sind Sex und Liebe so ziemlich das Gleiche. DAS BETT ALS BEET DER LIEBE!, springt mir die Überschrift ins Auge, die in roten Buchstaben über den Schritt des Models gedruckt ist. Das Model erinnert mich ein bisschen an Chelsea Hannigan, weshalb es mir sofort unsympathisch ist. Ich lese weiter. SO WIRD’S KNUSPRIG: WIE SIE IM SONNENSTUDIO IHREN SPASS HABEN, verrät eine zweite Überschrift. Bei knusprig kriege ich bloß Lust auf Grillhähnchen. Mein Blick schweift zu der Headline, die eine der Brüste verdeckt. GELÜSTE, DIE SIE NICHT UNTERDRÜCKEN SOLLTEN! steht in fetten, violetten Großbuchstaben an dieser recht auffälligen Stelle. Jetzt muss ich doch lachen. Mein beruflicher Alltag besteht darin, Zweiundzwanzigjährigen beizubringen, ihre Gelüste zu unterdrücken. Küss keine Babys in Einkaufswagen. Bekomme beim Anblick roter Putzlappen keinen Wutanfall. Vielleicht war ich so beschäftigt damit, anderen ihre Gelüste auszutreiben, dass ich mir meine eigenen ausgetrieben habe. Vielleicht hat Teddy mich deshalb verlassen. Vielleicht habe ich nicht genug Gelüste.
Es ist gerade erst halb acht, als ich genug über die weisen Ratschläge auf dem Umschlag der Cosmopolitan nachgedacht habe. Die Sonne ist zwar noch nicht untergegangen, aber offiziell ist es trotzdem Abend. Es ist durchaus angebracht, dass ich im Bett liege und ein Telefon in der Hand halte. Alle möglichen, normalen und nicht deprimierten Menschen gehen abends ins Bett und nehmen das Telefon mit. Es sieht schwer danach aus, als käme Teddy nicht mehr wegen seines Fernsehers. Wahrscheinlich glaubt er sowieso nicht, dass ich ihn zurückgebe. In Wahrheit habe ich nämlich die Rechnung nicht. Ich weiß nicht mal, wo er ihn gekauft hat. Er hat ihn einfach eines Abends auf einem Wägelchen hereingerollt, als handele es sich um einen streunenden Hund. Mein verblüfftes Schweigen war für ihn vermutlich gleichbedeutend mit der Erlaubnis, ihn behalten zu dürfen.
Ich nippe an meinem Anti-Stress-Tee und ignoriere den Kuchen, den meine Mutter gebacken und heute Morgen auf der Türschwelle abgestellt hat. Teufelszeug. Bei den Treffen der Anonymen Übergewichtigen nennen sie so eine wie meine Mutter einen freundlichen Feind. Jemand, der einem die eine Hand reicht, um einem zu helfen, während er einem mit der anderen einen Kuchen mit drei Millionen Kalorien anbietet. Ich blättere lustlos in dem Sexratgeber auf meinem Schoß, bis ich auf einen Artikel stoße, der die Überschrift »Die Geheimnisse von unwiderstehlich gutem Sex« trägt. Ich schaue auf das Foto einer spargeldürren Blondine mit deutlichen Brustimplantaten, die sich in den Armen eines richtig harten Kerls räkelt. Es gibt reichlich Zitate, Ratschläge von wohlmeinenden Lesern, deren Namen geändert wurden, um ihre Privatsphäre zu schützen. Masochistisch, wie ich bin, fange ich an, sie zu lesen. Mein Schnucki und ich leben im Schlafzimmer so richtig auf, indem wir zuerst nackt unser Ego streicheln, bevor wir dann woanders weitermachen … Sie wissen schon, wo! – Jenna P.
Ich weiß, wo, Jenna, obwohl bei mir in letzter Zeit nichts mit Streicheln war. Ich lese weiter. Mamma Mia! Wir haben rausgefunden, dass wir beide richtig »scharf« werden, wenn wir Freitagabends im Bett Spaghetti essen! – Rita S.
Bei diesem Zitat verziehe ich das Gesicht. Da denke ich nur an die Flecken auf den Laken. Tomatensoße ist am schwersten rauszubekommen, ganz egal, was die Waschmittelwerbung verspricht. Ich will die Zeitschrift gerade zuklappen, als mir eine andere Aussage ins Auge springt, die von Kristi M.: Lass uns spielen!, steht da. Ich lese weiter. Baseballspiele im Fernsehen erregen meinen Liebsten total. Deshalb habe ich beschlossen, diese Erregung zu nutzen und mir die Spiele mit ihm anzusehen – wobei ich nichts als einen Stringtanga mit dem Namen seiner Mannschaft vorne drauf trage. Und sobald die Sendung vorbei ist, wird unter der Bettdecke weitergespielt. Nichts wie ran an die Bälle!
»Ha!«, lache ich und ziehe die Bettdecke unters Kinn. Ich weiß genau, wie Kristi M.s Typ drauf ist. Auch Teddy kriegt bei Baseballspielen jedes Mal fast einen Herzanfall. Aber sie mit ihm zusammen anzusehen, nur mit Unterwäsche bekleidet, daran habe ich nie gedacht.
Das bringt mich auf eine Idee.
Zu unserem ersten Hochzeitstag hat Teddy mir feuerwehrrote Dessous von Victoria’s Secret gekauft, die ich still und leise ganz hinten in der Schublade habe verschwinden lassen, wo sie seit drei Jahren ungestört liegen. Ich weiß noch, wie fett ich mich fühlte, als ich sie aus dem eleganten rosa Seidenpapier zog und hochhielt. Der BH war okay – Teddy kannte meine Größe –, aber das Höschen hätte nicht mal einer neunjährigen Schülerin gepasst. Hatte Teddy mir damit etwas sagen wollen? Dass ich sogar schon damals hätte dünner sein sollen, so wie Inga?
Ich schlage die Decke zurück, springe aus dem Bett und fange an, in der obersten Schublade zu wühlen. Ich entdecke sie ganz hinten, immer noch in das Papier eingeschlagen, zerknittert, aber noch in Ordnung. Ich lasse meine Jogginghose auf die Knöchel heruntergleiten, reiße mir das T-Shirt mit der Aufschrift SIND WIR NICHT ALLE EIN BISSCHEN ANDERS? (die gab es bei unserem letzten Betriebsausflug umsonst) vom Leib und zwänge mich in das Höschen.
Wie sich rausstellt, ist es ein Stringtanga. Wer trägt so etwas? Versuchen die Leute solche Torturen nicht zu meiden? Ich mache weiter. Ich tue so, als würde der Tanga mir keine Schmerzen bereiten, und hake den BH zu. Meine Brüste wälzen sich wie Lava über gepolsterte Bügel aus Spitze. Ich trete vor den großen Spiegel, um mich zu betrachten.
Ich sehe aus wie ein Folteropfer. Amnesty International sollte dringend ein paar Anrufe tätigen und mir helfen. Mein Hintern sieht aus wie ein umwickelter Braten. Meine Brüste, die sowieso zu groß sind, könnten genauso gut Pfeile tragen, auf denen steht: »Sieh her! Sieh her!« Und trotzdem. Vermutlich sehe ich sexy aus, ein Vollweib eben. Und mein Liebster mag Baseballspiele im Fernsehen. Und mir fehlen die Überraschungen unter der Bettdecke.
Ich gehe ins Wohnzimmer und schalte den riesigen Fernseher an. Werbung. Ein Mann mit einem fiesen Grinsen steuert einen Truck von der Größe einer Ranch einen Berghang hinauf. Ich suche nach der Fernbedienung und zappe. Anwälte. Cops. Ärzte. Noch mehr Cops. Und dann endlich, o ja, Gott hat mich erhört, endlich höre ich das Brüllen einer Zuschauermenge und sehe ins Gesicht eines Baseballspielers, der auf dem Spielfeld steht, den Schläger schwingt und in den Dreck spuckt. Und auch noch ein spuckender Yankee!
Ja!, rufe ich in den leeren Raum und springe auf und ab, wobei mich der Tanga konstant an einer verborgenen Stelle kneift. Teddys Yankees auf seinem riesigen Fernseher! Ich ziehe den Tanga raus, doch er schnellt sofort wieder zurück. Egal. Ich sehe zu, wie die Sonne hinter meinem Fenster am Horizont versinkt, wodurch das bläuliche Licht des Fernsehers stärker wird und samtige Schatten sich im Zimmer ausbreiten. Ich stelle den Fernseher leiser und rolle mich auf dem Sofa zusammen.
Dann höre ich das Geräusch, auf das ich den ganzen Tag gewartet habe. Das Klimpern der Schlüssel. Der Türknauf. Das leise Schleifen der Tür. Ich sehe über die Sofalehne nach hinten, und da ist er. Sein wunderbares Gesicht mit dem dunklen Teint, die breiten Schultern und der aufgesperrte Mund. Teddy. Ich habe es geschafft, dass er nach Hause kommt, unterstützt von meinem Tanga, meinem Spitzen-BH und seinem geliebten Breitbildfernseher. Mein Mann ist hier, um seinen Fernseher und vielleicht, möglich wär’s, auch mich zurückzufordern, sollte es ihm wirklich, wirklich leid tun. Ich erhebe mich vom Sofa, um ihn zu begrüßen. Lass uns spielen!